Easy.
10-12-2020 / Magdalena Grüner
Die Silhouette eine Palme aus schwarzem Gummi liegt auf dem postapokalyptisch anmutenden Skelett eines Liegestuhls. Die Palme gibt sich ganz und gar der Schwerkraft hin, sie würde sofort zu Boden fließen, wäre da nicht ein Cocktail-Spieß, der dafür sorgt, dass sie am Rahmen des Liegestuhls hängen bleibt. So aber wird die Palme an ihrem Platz gehalten, auf dem sie so tut, als könnte sie ihre Funktion als Liegefläche eines Liegestuhls noch erfüllen. Dabei ist es ganz offensichtlich, dass diese Liegefläche bei der geringsten Belastung nachgeben und zu Boden sinken würde. Franziska Opel beschäftigt sich in ihrer Installation „Lazy days“ mit der Ambivalenz des Skulpturalen und materialisiert dabei ein paradoxes, fast perverses Verhältnis zu dem, was wir „Freizeit“ nennen.
Unter den Hashtags #wellness oder auch #selfcare sind sie in den Social Media zu finden, die Anleitungen zum Wohlbefinden: eine warme Tasse cruelty-free fair-trade bio-Tee mit „natürlich“ gesüßten Dattel-Pekannuss-Kurkuma-Schnitten zum Beispiel, in Kombination mit einem „guten Buch“, einer kuscheligen Strickdecke. Zu diesem Wellness-Paket wird auch gerne Sport gezählt, ein ebenso elementarer Bestandteil der Selbstfürsorge-Routine wie die keto-/paleo-/detox-/low-carb-Diät. Ansonsten wäre da noch der Klassiker, das allseits beliebte Bubble Bath, mit Rosenblüten und Bio-Molke-Lavendel-Bad. Zweifellos sind das alles Dinge, die für Entspannung sorgen können, wären sie ohne unvermeidliche Prämisse des Konsums zu haben; wenn Freizeit auf Hochglanz poliert, „kuratiert“ und gestyled, geputzt und gestriegelt werden muss, ist sie ganz schnell eben nicht mehr, was sie sein soll. Was „easy“ aussieht, entpuppt sich schnell als krampfiges Unterfangen, verbunden mit allerlei Auflagen und Vorkehrungen, die getroffen werden müssen. Das Bedürfnis nach Ruhe und Loslassen wird pervertiert in ein Bedürfnis nach „natürlichen“ Kosmetika und Superfood, die Selfcare zur Pflicht zur Selbstoptimierung transformiert und vermarktet, um Resilienzen zu entwickeln und widerstandsfähige Arbeitskräfte hervorzubringen. Und selbstredend lässt sich daraus Kapital schlagen, diese ‚Bedürfnisse‘ sollen kosten.
Die Orchideen in Jenny Schäfers Arbeit „Befreien Sie sich von all den Schmerzen“ erinnern daran, dass der Wunsch nach Erholung und Entspannung oftmals mit Ästhetiken einhergehen, die Orte, Menschen und Praktiken als exotisch und fremd markieren. Gerade Orchideen, die in der Hochzeit kolonialer Expansion geradezu eine Hysterie unter Botanikern auslösten, weisen auf die kolonialen und neo-kolonialen Machtgefüge hin, innerhalb derer sich #wellness und #selfcare abspielen. Bis vor kurzem gehörten der Thailand-all-inclusive Urlaub, das Yoga-Retreat auf Bali und die Ayuhuasca-Zeremonie in den Regenwäldern Süd- und Mittelamerikas auf jede wohlüberlegte Bucket-List. Und jetzt? Die Büchse der Pandora ist geöffnet und die Asymmetrien sind scheinbar plötzlich unübersehbar: die Umweltverschmutzung, die Ausbeutung, die kulturelle Aneignung, der Diebstahl von geistigem Eigentum, das alles ist jedem Schnappschuss eines weißen Sandstrandes unwiderruflich eingeschrieben.
In der Silhouette der Palmen und den verkitscht anmutenden und bizarr verzerrten Orchideenbildern wird dieses ambivalente, teils fast schon groteske Verhältnis zur „Freizeit“ in seiner Widersprüchlichkeit greifbar. Dabei fragen sie: Sind Freizeit, Erholung und Rekreation unter den aktuellen Umständen überhaupt noch vorstellbar? Und wenn ja, wie kann „easy“ aussehen, wenn es nicht in Komplizenschaft mit kapitalistischem „selfcare“-wahn oder neokolonialer Ausbeutung stattfindet?