KUNSTSTÜCKE

30-11-2015 / die Redaktion

Diese Rubrik widmen wir den Künstlern. Dieses Mal – der Zeichner Niklas Sagebiel mit einem Textauszug aus George Batailles "Das obszöne Werk".

 

Unter der Sonne Sevillas 

Zwei Kugeln von gleicher Größe und Konsistenz hatten sich gleichzeitig in entgegengesetzte Richtungen bewegt. Der weiße Hoden eines Stiers war in das «rosaschwarze» Fleisch Simones eingedrungen; ein Auge war aus dem Kopf eines jungen Mannes hervorgetreten. Diese Koinzidenz, sowohl mit dem Tod als auch mit einer Art Verflüssigung des Himmels zu Urin verbunden, gab mir für einen Augenblick Marcelle zurück. Es schien mir, als ob ich sie in diesem ungreifbaren Augenblick berührte. 

 

Niklas Sagebiel, Feinliner, 2015

 

Dann stellte sich, wie gewöhnlich, der Überdruss ein. Simone, die schlechter Laune war, weigerte sich, noch einen Tag länger in Madrid zu bleiben. Sie wollte unbedingt nach Sevilla, das bekannt war als eine Stadt des Vergnügens. Sir Edmond wollte die Kapricen seiner «engelhaften Freundin» zufrieden stellen. Im Süden fanden wir ein Licht und eine Hitze vor, die noch zerflossener war als in Madrid. Eine verschwenderische Fülle von Blumen in den Straßen erregte vollends unsere Sinne. Simone ging nackt unter einem leichten weißen Kleid, durch dessen Seide die Taille und bei bestimmten Bewegungen sogar das Schamhaar hindurchschimmerten. Alles trug in dieser Stadt dazu bei, sie in brennende Lust zu verwandeln. Unterwegs, in den Straßen, beobachtete ich oft, wie ein Schwanz sich unter der Hose spannte, wenn Simone vorüberging. 

 

Niklas Sagebiel, Feinliner, 2015

 

Wir hörten fast nicht mehr auf, miteinander zu schlafen. Wir vermieden den Orgasmus und besichtigten die Stadt. Wenn wir einen geeigneten Ort verließen, so nur, um den nächsten aufzusuchen: die Halle eines Museums, die Allee in einem Park, den Schatten einer Kirche oder am Abend eine verlassene Gasse. Ich öffnete den Körper meiner Freundin und stieß ihr meine Rute in die Vulva. Schnell zog ich dann das Glied wieder aus der Höhle hervor, und wir schlenderten ziellos weiter durch die Straßen. Sir Edmond folgte uns in einiger Entfernung und überraschte uns. Er wurde dann jedes Mal purpurrot, ohne sich jedoch zu nähern. Wenn er sich Befriedigung verschaffte, tat er es diskret und auf Distanz. 

Wie interessant, sagte er eines Tages und wies auf eine Kirche, das ist die Kirche von Don Juan. 

Ja und? fragte Simone. 

Möchten Sie allein hineingehen? schlug er vor. 

Was für ein Gedanke! 

Ob der Gedanke nun absurd war oder nicht, jedenfalls ging Simone hinein, und wir warteten vor dem Portal. Als sie zurückkam, standen wir mit dummen Gesichtern da: Sie lachte schallend und brachte kein Wort hervor. Ansteckung und die Sonne brachten es dahin, dass auch ich anfing zu lachen und am Ende sogar Sir Edmond. 

Bloody girl! rief der Engländer, können Sie sich nicht erklären? übrigens lachen wir über dem Grabe von Don Juan! 

Und von neuem lachend deutete er auf eine große Kupferplatte unter unseren Füßen; sie bedeckte das Grab des Gründers der Kirche, von dem es heißt, dass es Don Juan gewesen sei. Der reuige Sünder hatte gewollt, dass man ihn unter dem Eingangsportal begrub, damit er auch von den Niedrigsten mit Füßen getreten werde. Unser irres Gelächter brach vielfach von neuem los. Simone musste vor Lachen pissen; der Urin rann ihr an den Beinen hinunter: ein Rinnsal floss über die Grabplatte. Der Vorfall hatte noch eine andere Wirkung: der nass gewordene Stoff ihres Kleides klebte an ihr und wurde durchsichtig: die schwarze Vulva war plötzlich sichtbar. Simone beruhigte sich endlich. 

 

Niklas Sagebiel, Feinliner, 2015

 

Ich gehe wieder hinein, bis ich trocken bin, sagte sie. 

Im Innern der Kirche konnten wir nichts entdecken, das Simones Lachen erklärt hätte; der Raum war verhältnismäßig kühl, das Tageslicht wurde durch rote Kretonnevorhänge gefiltert. Die Decke war aus geschnitztem Holzwerk, die Wände waren weiß gekalkt, aber geschmückt mit Statuen und Bildnissen. Ein vergoldeter Altar mit einem ebenfalls vergoldeten Aufsatz nahm die hintere Wand bis hinauf zu den Tragbalken des Schnitzwerkes ein. Dieses märchenhafte Gebilde, befrachtet gleichsam mit den Reichtümern Indiens, beschwor mit seinen Ornamenten, Voluten, Torsaden, seinen Schatten auf dem Glanz des Goldes die parfümierten Geheimnisse eines Körpers. Rechts und links vom Portal stellten zwei berühmte Bilder von Valdés Leal verwesende Kadaver dar: in die Augenhöhle eines Bischofs fraß sich eine riesige Ratte …

Dieses sinnliche und prächtige Ensemble, die Spiele der Schatten und des durch die roten Vorhänge sickernden Lichts, die Kühle und der Oleanderduft und dazu Simones Schamlosigkeit stachelten mich auf, die Zügel schießen zu lassen. Ich sah die seidenbeschuhten Füße einer reuigen Sünderin aus einem Beichtstuhl hervorragen. 

Ich möchte sie vorübergehen sehen, sagte Simone. 

Sie setzte sich vor mir hin, dicht neben dem Beichtstuhl. Ich wollte ihr meinen Schwanz in die Hand geben, sie aber lehnte ab und drohte, ihn mir bis zum Samenerguss zu reiben. Ich musste mich hinsetzen; ich sah ihr Fell unter der nassen Seide. 

Du wirst schon sehen, sagte sie. 

 

Niklas Sagebiel, Feinliner, 2015

 

Nachdem wir lange gewartet hatten, trat eine sehr hübsche Frau aus dem Beichtstuhl, die Hände gefaltet, das Gesicht blass, verzückt: den Kopf zurückgeworfen, die Augen weiß, durchquerte sie langsamen Schrittes den Raum wie ein Operettengespenst. Ich presste die Lippen zusammen, um nicht laut zu lachen. In diesem Moment öffnete sich die Tür des Beichtstuhls. Heraus kam ein blonder, noch junger und ungewöhnlich schöner Priester mit den mageren Wangen und den bleichen Augen eines Heiligen. Mit gekreuzten Händen blieb er auf der Schwelle des Beichtstuhls stehen, den Blick an einen Punkt der Decke geheftet: so als werde ihn sogleich eine himmlische Vision vom Boden emporheben. Auch er wäre sicherlich davongegangen, hätte Simone ihn nicht, zu meiner höchsten Verwunderung, angehalten. Sie grüßte den Geisterseher und bat, die Beichte ablegen zu dürfen … 

Gleichmütig und in die Verzückung der Selbstbewunderung gleitend, wies der Priester ihr den Platz des Beichtkinds: einen Betstuhl hinter einem Vorhang; dann trat er, ohne ein Wort zu sagen, in seinen Schrank zurück und schloss hinter sich die Tür. 

 

Niklas Sagebiel, Feinliner, 2015