Parasites

26-01-2021 / Lisa Klosterkötter

Ein Rundgang durch die Ausstellung – mit Arbeiten von Claire Barrow, Zuzanna Czebatul, Miranda Keyes, Kinke Kooi, Magdalena Los, Sinkhole Project und Raphaela Vogel.

Die in Köln beheimatete Kunstmesse Art Cologne wurde 2020 Corona-bedingt zweifach verschoben und die Ausstellung Parasites im Kölner Projektraum PiK Deutz schloss sich diesen Verschiebungen an. Letztlich konnte die Messe nicht stattfinden, Parasites wurde im Dezember 2020 realisiert. Das alljährliche terminliche Andocken an die Messe sowie die geografische Nachbarschaft zum Messegelände verspricht dem PiK Deutz einen Mehrwert an internationalem Publikum, gleichsam bietet der Projektraum den Messebesucher*innen und somit der Art Cologne die Konfrontation mit internationaler zeitgenössischer Kunst, sowie den direkten Zugang zur lokalen Szene. Im Zuge dieser Koexistenz der Off-Szene im Bezug zu kommerziellen Kunstereignissen setzt sich Parasites mit den parasitären Verhältnissen, Abhängigkeiten und Appropriationen des zeitgenössischen Kunstgeschehens auseinander. Wer bedingt wen? Wie verdeutlicht sich die Verzweigtheit der verschiedenen Kunstakteur*innen? Wer setzt Impulse und Prozesse frei? Nach Michel Serres verdanken sich alle Entwicklungsprozesse einem parasitären Eindringen, einem progressiven Impetus hin zu Veränderungs- und Transformationsprozessen in einem bestehenden System. Durch die Pandemie und die Einschränkungen und Beschneidungen der Kunst- und Kulturbranche hat sich eine neue Aktualität dieses Themas, im Spannungsfeld und Machtgefälle zwischen Kultur und Wirtschaft ergeben.

 

Parasites (Raumansicht), PiK Deutz, 2020/21

 

Der/die Parasit*in ist ein*e Erreger*in. Weit davon entfernt, ein System in ihrer/seiner Natur, ihrer/seiner Form, ihren/seinen Elementen, Relationen und Abläufen zu verwandeln. Doch bringt sie/er das Gleichgewicht und die Energieverteilung des Systems zum Fluktuieren. Sie/er dopt es, irritiert es, verstopft, verdichtet, verschiebt, entzündet es. Sie/Er regt es an, sie/er treibt es an, setzt es in Bewegung oder parallelisiert es. Sie/Er verändert den energetischen Zustand einer bestehenden Ordnung.

 

Bee, Doof, Nux, Immortan Joe, Oracle, Glory, Horse, Slit, Bullet, Tiger, Goro, Noob und Sub Zero sind die Namen der 13 von Künstlerin und Modedesignerin Claire Barrow ins Leben gerufenen Charaktere. Sie sind gefertigt aus alten Teddybären, Kunstfell, auf der Straße gefundenen Objekten, Perlen, Pfeifenreinigern, Seilen, Reißverschlüssen, Kunstfedern und menschlichem Haar. Die Londoner Modedesignerin schöpft ihre Inspiration aus der sogenannten DIY-Kultur, um ihre Kunst auf alles anzuwenden, von der Kleidung bis zur Leinwand, im physischen und digitalen Raum. Die Figuren wurden zwischen 2018 und 2020 für ihren Kurzfilm "Fury Road Slits Journey" produziert, der zeitnah erscheinen wird. Der Film ist inspiriert von den kindlichen Erfahrungen der make-believe-Spiele (Phantasiespiele) sowie von den restriktiven Erwartungen der Gesellschaft, etwas aus seinem Leben zu machen.
Die Objekte hängen und stehen dicht über der Teppicharbeit von Zuzanna Czebatul, greifen die Konstellation der dort abgebildeten Figurengruppe auf, indem sie wie ein Spiegelbild über ihr schweben.

 

Claire Barrow, Fury Road Slits Journey, 13 Soft Sculptures, 2018-2020
Claire Barrow, Fury Road Slits Journey, 13 Soft Sculptures, 2018-2020 Kinke Kooi, Grotesque of Raising (2), acrylic, pencil, gouache and collage on paper, 102 x 73 cm, 2018

 

Die den gesamten Boden des Raumes bedeckende Arbeit Des Wahnsinns schöne Kinder der Künstlerin Zuzanna Czebatul zeigt eine Figurengruppe aus 9 dämonischen Wesen, die an einem Tuch mit der tiefroten Aufschrift EGO ziehen, zerren, mit Knüppeln auf es einschlagen. Die Szene bildet einen Rapport, der als Dessinierung die 300 Quadratmeter-große Bodenfläche überzieht. Das Bildelement lehnt sich kompositorisch und zeichnerisch an Martin Schongauers Kupferstich Der heilige Antonius, von Dämonen geplagt (ca 1470) an. Wie auch der, in der christlichen Darstellung zentral platzierte Mann, kann sich das Tuch nicht wehren oder schützen und wird gleichzeitig in ikonografischer Verklärtheit unversehrt abgebildet. Dieses Spannungsverhältnis zeigt die in politische Ideologien eingebetteten Strukturen und Ästhetiken der Macht auf, die Kern von Czebatuls Arbeit sind. Ein kollektives Ego nimmt Raum ein und wird gleichsam belagert, gepeinigt, beeinträchtigt, nicht zuletzt durch die Entwicklungen der gegenwärtigen gesellschaftlichen und pandemischen Krise. Auch die durch das Aufgreifen des Kupferstichs thematisierten christlich fundamentalen Wertesysteme bieten eine Analogie zu der aus den Ufern geratenen Welt und erschaffen eine weltumspannende Makroperspektive. Die rythmische Wiederholung, Anordnung und Drehung der Rosette um die eigene Achse erweitert die Ausstellungshalle nach außen, sprengt räumliche Begrenzungen und dehnt sie gedanklich aus. Die weiteren Arbeiten der Ausstellung werden von der raumgreifenden Bodenarbeit beeinflusst und belagern, besetzten gleichsam den Teppich.

 

Zuzanna Czebatul, Des Wahnsinns schöne Kinder, printed polyester, 11,15 x 26,15 m, 2020
Zuzanna Czebatul, Des Wahnsinns schöne Kinder, printed polyester, 11,15 x 26,15 m, 2020

 

Der sich hier ausdehnende Kosmos zieht sich dort in den Arbeiten der niederländischen Künstlerin Kinke Kooi in seiner fluoreszierenden, von Fraktalen durchzogenen Gesamtheit zusammen. Reife, geschwollene, umschließende Formen, ineinander gefügte Strukturen, Muster, eingewachsene Objekte und in Zwischenräume eingesetzte, passförmige Körper.
In Kinke Koois Zeichnungen geht es um die Fürsorge für eine funktionierende Einheit, darum, wie sich das große Ganze im Kleinen verlieren kann, um die Distanz zwischen Menschen und Dingen, Körpern und Objekten zu versöhnen und die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wie die Kleinheit, bei aller scheinbaren Sinnlosigkeit, sinnvoll und verlockend sein kann.

 

Kinke Kooi, Grotesque of Raising (2), acrylic, pencil, gouache and collage on paper, 102 x 73 cm, 2018
Kinke Kooi, I dreamed that You were Me, acrylic paint, (colour) pencil, marker on paper, 36,5 x 29,3 cm, 2019

 

Der Blick der in Kinke Koois konkave Wölbungen eingesogen wird, führt auch in die Videoinstallation Uterusland von Raphaela Vogel hinein: das Video zeigt eine Frau, die ein künstliches Baby in den Armen hält und in einer traumartigen Szene ein klaustrophobisch enges, nicht enden wollendes Rohr durchgleitet. Es geht um das Gebären und Hervorbringen der eigenen Künstler*innen-Identität, einer emanzipierten künstlerischen Produktion, die für Raphaela Vogel immer auch mit einer schonungslosen Selbstrepräsentation einhergeht, die den Druck des Schaffensdrangs als Bedrängnis wie auch als Kraft zu erkennen gibt. Im Kontext der Ausstellung wird durch Uterusland auch die Frage nach Geschlechterkonstruktionen thematisiert: wer wird in welchen Körper, in welches biologische Geschlecht hineingeboren? Es entsteht die Vorstellung den eigenen Körper zu bewohnen, der Körper als Hülle, Schutz und Last zugleich. Auch geht es um die Inszenierungen von Körper-Realitäten wie der eigenen Geburt. Die Installation die teilweise aus einer Melkmaschine besteht, greift das Thema Carearbeit, Schwangerschaft, Fürsorge gegenüber sich selbst und anderen auf und verweist auf die Rolle der Frau als Ernährerin und Wirtin parasitären Lebens.

 

Raphaela Vogel, Uterusland, Video: 7,11 min, Sound, video projector, polyurethane elastomer, milking tool, metal wire, string, plastic tubes, tyvek, leather, massage hula hoop, USB-stick, 198 x 273 x 157 cm, 2017/2019
Raphaela Vogel, Uterusland, Video: 7,11 min, Sound, video projector, polyurethane elastomer, milking tool, metal wire, string, plastic tubes, tyvek, leather, massage hula hoop, USB-stick, 198 x 273 x 157 cm, 2017/2019

 

Magdalena Los’ dockt mit ihrer Arbeit an artists mouth is there to speak and not to eat als (vermeintliche) Parasitin an Czebatuls Arbeit an, indem sie zu denselben Konditionen (Hersteller, Material, Produktionsort) ebenfalls einen Teppich produzieren ließ, allerdings mit dem Unterschied, dass das ihr zur Verfügung gestellte Budget ungefähr 1/20 von dem Czebatuls betrug. Los macht in ihrer Arbeit die ungleiche Verteilung der Materialbudgets sichtbar und somit allgemein die Hierarchie innerhalb des Kunstbetriebs. Es wird u.a. die Frage nach dem Zusammenhang von Sichtbarkeit und Möglichkeiten aufgeworfen: Wer macht den Parasit zum Parasiten? Wer ist überhaupt Parasit?
an artists mouth is there to speak and not to eat stellt einen Mund dar, als Eingang und Öffnung zum Körper aber auch als Sprachrohr und Kommunikationsweg. Der Mund ist sowohl zum Essen, als auch zum Sprechen da, dabei ist die Nahrungsaufnahme ein lebensnotwendiges Grundbedürfnis. Die künstlerische Arbeit wird oftmals nicht als Arbeit wertgeschätzt, sondern vielmehr als Berufung verstanden, die nichts mit monetärer Entlohnung zu tun hat (“brotlose Kunst”), gleichzeitig wird die Kunst im Zusammenhang mit Freiheit attestiert, Dinge so benennen zu können, wie sie wirklich sind.

 

Magdalena Los, an artists mouth is there to speak and not to eat, the choice of material is based on Zuzanna Czebatuls work Des Wahnsinns schöne Kinder and was commissioned by the same producer. The size of Los’ work was determined by the available production budget, printed polyester, 233 x 155 cm, 2020

 

Miranda Keyes’ hier gezeigte Glasobjekte Loamy Burrs setzen sich aus verschieden bearbeiteten transparenten und matten Oberflächen zusammen. Ein bauchiges Zentrum und jeweils zwei sich in verschiedene Richtungen windende, hauchdünn auslaufende Spitzen umschließen eine braun schimmernde Flüssigkeit, die an den Enden der Objekte wie aus einer Glaspipette heraustreten wollen, aber durch die geschlossene Form nicht können. Viele Assoziationen und poetische Bilder, die sich um die Formen spinnen und die die Künstlerin in ihren Texten zu den einzelnen Arbeiten beschreibt. In Loamy Burrs spricht sie von “kuppelgemolkenem Saft” und spielt auf die fast nur im Schatten ihrer selbst sichtbaren, hauchzarten Zitzen oder Kuppeln der Glasobjekte an, die in Verbindung mit Raphaela Vogels Melkmaschine zurück zu der Thematik des Ernährens und Voneinander-Zehrens führen. Auch erinnern sie an feuchte, lehmige Fahnen- und Algengewächse oder an auf der Wand ausharrende Insekten, deren Formen sich in den Hörnern und Krallen der Dämonen auf dem Teppich wiederfinden.

 

Miranda Keyes, Loamy Burrs, glass, hydro-distilled Thames clay, ethanol, 2020
Miranda Keyes, Loamy Burrs, glass, hydro-distilled Thames clay, ethanol, 2020 Zuzanna Czebatul, Des Wahnsinns schöne Kinder, printed polyester, 11,15 x 26,15 m, 2020

 

Sinkhole Project ist eine kuratorische Plattform, die 2016 von Joe Speier in Baltimore, Maryland gegründet wurde. Die Ausstellungen finden zumeist kurzweilig im öffentlichen Raum, an Zäunen und Mauern statt. Im Rahmen von Parasites wurde Sinkhole Project eingeladen, ein Konzept innerhalb der Ausstellung (eine Ausstellung in der Ausstellung) umzusetzen und bespielt die weitläufige Fensterfront der Ausstellungshalle. Joe Speier wiederum lud die Galerie Gern en Regalia, die in New York (Manhattan, Lower East Side) beheimatet ist, ein, innerhalb seines Konzeptes, Produkte auszustellen, die ihr Galerieprogramm bewerben (T-Shirts, Sticker-Editionen, Logos). Zudem zeigen Zoe Brezsny und Mario Miron, die Gern en Regalia betreiben und mit Joe Speier befreundet sind, ihre eigenen Zeichnungen und Malereien. Das gesamte Konzept thematisiert die parasitäre Beziehung zwischen Künstler*innen und den von ihnen betriebenen Artist Run Spaces und Galerien. Die Einbeziehung eines weiteren Kunstortes wie Gern en Regalia impliziert das Netzwerk dieser Räume und ihrer Leiter*innen, Freundschaften und gegenseitig vorteilhaften Transaktionsbeziehungen, die sich um das Interesse der Verbreitung von Kunst bilden. “Mich reizt die Idee, Gern als eigenständiges Kunstwerk neben den Zeichnungen und Gemälden von Mario und Zoe (den Gern-Direktor*innen) zu rahmen.” sagt Joe Speier. “Ich war daran interessiert, die Shirts auszustellen, weil sie als Werbung für eine Galerie fungieren, die so klein ist, dass sie nie Verkäufe macht und nicht wirklich ein Geschäft betreibt. Das stellt die Natur der von Künstler*innen geführten Räume als Unternehmen und als Erweiterung ihrer kreativen Praxis in Frage.”

 

Sinkhole Project presents Joe Speier presents Gern en Regalia presents Mario Miron and Zoe Brezsny, 2020

 

Und plötzlich kommt der Gedanke, ob die Evolution nicht unter einem bestimmten Gesichtspunkt das Werk des Parasiten ist. Ob nicht zwischen Evolutionen und Parasitentum Kreisläufe von Ursachen und Wirkungen bestehen, offene rückgekoppelte Kreise.

(Michel Serres: Der Parasit, 1980)