Pelzbeine oder „Schmuck ist Schutz“

03-02-2020 / Lisa Klosterkötter

Energie, die in Dinge fließt – Schmuck ist Schutz – numinos – Mysterium des Erschreckens und der Faszination. Linda Christanell

 Das Fellkleid ist Haut und Hülle zugleich. Ein Pelz kann über den Körper getragen oder aus ihm entwachsen sein. Er ist ein Symbol für Macht und Stärke, Gegenstand erotischer Phantasien, bietet Schutz oder bedeckt die Scham. Wie sich Objekte und Personen in Kunst und Mode zu ihren übergeworfenen oder körpereigenen Fellen verhalten, beschreibt dieser Text anhand folgender Beobachtungen:

Die Ausstellung „Camp: Notes on Fashion“ im Metropolitan Museum of Art, fügt sich in die Reihe jährlich gezeigter Modeausstellungen des Anna Wintour Costume Institute in New York City, die jeden Mai von der legendäre Met Gala eröffnet wird. Basierend auf Susan Sontags Essay von 1964 „Notes on Camp“ wird der Begriff „Camp“ anhand von 250 Objekten aus dem 17. Jahrhundert bis heute, untersucht und bebildert. Die Ursprünge jener üppigen Ästhetik werden ebenso wie die Frage verhandelt, wie sich die Elemente von Humor, Ironie, Parodie, Theatralik und Übertreibung in der Mode ausdrücken. Ein Schuh sticht heraus: Das Objekt, in einer Glasvitrine präsentiert, ist aus Kunstfell, zart rosa der Absatz, zart pink das Schuhbett. Ein Design von Phoebe Philo für Céline's Frühjahrskollektion 2013. Es wirkt neben den extravaganten, exzentrischen, sich gegenseitig die Show stehlenden Roben, Kleidern, Anzügen Hüten und Schuhen (wie z.B. einem Kopfschmuck aus zwei sich anblickenden Flamingos von Stephen Jones für House of Schiaparelli, Herbst/Winter 2018/19, Haute Couture) gleichsam als Relikt eines anderen ästhetischen Bewertungsapparats. Er hat etwas Rohes, versucht nichts weiter zu sein, als ein Stöckelschuh mit Fell überzogen und trägt doch eine Narration oder einen Charakter in sich. Ein Wesen das sich aufplustert, aus einem Schutzinstinkt heraus oder um aus anderen Gründen größer zu erscheinen. Der Céline-Schuh ist für den Begriff „Camp“ ein vielleicht unpassend gewähltes Beispiel. Das Objekt trägt keinerlei Selbstironie oder schrilles Lachen in sich. Nicht zuletzt in Gedenken an Meret Oppenheims Zeichnung „Projekt für Sandalen„ (undatiert) und ihre bekannten Fell-Arbeiten bekommt der Schuh eine eigene politische Stimme.

 

Céline, Frühjahrskollektion 2013, Teil der Ausstellung Camp: Notes on Fashion, Metropolitan Museum of Art, 2019
Meret Oppenheim, Projekt für Sandalen, undatiert, Bleistift und Tusche auf Papier © Meret Oppenheim

 

Die 1913 geborene Schweizer Künstlerin Meret Oppenheim gestaltete im Laufe ihres Schaffens eine Reihe Fell überzogener oder aus Fell bestehender Objekte. An prominentester Stelle „Le déjeuner en fourrure“, Frühstück im Pelz oder Pelzfrühstück von 1936, eine Tasse, eine Untertasse und ein Löffel mit Fell umhüllt. Die Zartheit einer Porzellantasse wird mit einem Wildheit und Natürlichkeit suggerierenden Fell, einem chinesischen Gazellenpelz überzogen. Die Arbeit gilt als Symbol des Surrealismus und wird auf verschiedenste Weisen ausgelegt und interpretiert: Z.B. als erotisches Objekt im Sinne einer Verbildlichung der weiblichen Scham.

Der Trend zum Achsel- und Beinhaar bei Frauen ist dort entsprungen, wo auch das wesentliche Schönheitsideal der Haarlosigkeit entstanden ist – in den USA. („Erfunden haben die Amerikaner glatte Achseln allerdings nicht: In muslimischen Ländern zählt das Enthaaren seit jeher zur selbstverständlichen Körperpflege und schon im alten Ägypten war es für Männer und Frauen üblich, ihre Körperhaare mit einfachen Rasiermessern oder Wachs zu entfernen.“ [1]) In den USA etblierten sich die glattrasierten Beine und Achseln in den späten 70er-Jahren und kurz danach auch in Europa. Seitdem waren haarige Frauen ein absolutes No Go im Zuge des Mainstream. Doch vor einigen Jahren regte sich Wiederstand im Netz: Immer mehr junge Frauen trugen ihre natürliche Achsel-, Bein- und Bauchbehaarung als feministisches Statement im Zuge der Body Positivity Bewegung gegenüber dem gängigen, über Jahrzehnte manifesten Schönheitsideal und als ein Zeichen für mehr Natürlichkeit. Durch die sozialen Medien verbreitete sich der Trend blitzschnell international – Achselhaare wurden zum neuen politisch fundierten Beauty-Trend und zum modischen Accessoire einer Generation. Hier wird etwas Wildes, Natürliches mit der Hochglanz-Welt der „high fashion“ befruchtend verbunden und kann somit akzeptiert, kopiert und gehyped werden. Da stecken behaarte Damenbeine in pinken Pumps, strecken flauschige Achselhöhlen ihr Antlitz in die Smartphone-Kamera. Neben Haaren werden auch Pickel, Cellulite und Menstruationsspuren wie ein postmodernes Geschmeide inszeniert, abgebildet und veröffentlicht.

 

Arvida Byström auf Instagram

 

Die Seven Sutherland Sisters lebten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Niagara Country, New York. Sie sind bekannt für ihr außerordentlich langes Haar und verdienten sich durch die Erfindung eines Haarpflegemittels ihr Vermögen. Sie warben selber mit ihrer Haarpracht, reisten durchs Land und verkauften ihr Produkt Seven Sutherland Sisters Hair Grower. Die argentinische Künstlerin Mika Rottenberg arbeitet in ihrer Videoinstalllation Cheese (2008) die Geschichte der Seven Sutherland Sisters auf. In ihrem Sieben-Kanal-Video melken die Protagonistinnen ihr langes Haar, übergießen es in einer bestimmten Vorrichtung mit Flüssigkeit und produzieren durch eine Art Destillations-Vorgang ein Haarwasser, welches direkten Bezug nimmt zu dem genannten Erzeugnis der Seven Sutherland Sisters. Die Probleme und Eigenarten der Darstellerinnen im Zusammenleben mit ihren überlangen Haaren, welche Rottenberg in einem Interview zu ihrer Arbeit beschreibt (zB. die auch in Wirklichkeit sehr langen Haare der Darstellerinnen brauchten 24 Stunden um zu trocknen und verzögerten somit die Dreharbeiten) [2] sind der Grund für eine Reihe (feministischer) Vereinigungen und Foren im Netz, anhand derer die Künstlerin auch ihre Performerinnen ausfindig machte.

 

Seven Sutherland Sisters, Hair Grower and Scalp Cleaner, Werbekarte, 1883
Mika Rottenberg, Cheese, 2008, Mehrkanal-Videoinstallation, Filmstill © Mika Rottenberg

 

Gegenteilig zum Aufplustern, Statement-Setzen oder Profit-Schlagen, bietet in John Irvins Roman „Hotel New Hamshire“ ein felliges, täuschend echtes Bärenkostüm einer Frau, „Susie der Bär“ genannt, Schutz und Zuflucht. Sie ist eine misshandelte junge Wienerin, die in die Obhut einer Gruppe Radikaler mit unklaren politischen Zielen geraten ist und in einem verstaubten, inaktiven Wiener Fin de siècle Hotel herumgeistert. Susie ist nackt unter dem Fell, verschwitzt, ihre Haare sind verfilzt. Erst gen Ende des 1981 veröffentlichten US-amerikanischen Romans, entledigt sie sich mit Hilfe der Familie Berry, mit deren Kindern Franny und John sie hintereinander sexuelle Beziehungen eingeht, ihrer Schutzkleidung.[3]

 

Hotel New Hampshire, John Irving, 1981, E.P. Dutton Verlag, New York

 

Zum Schutz vor den wilden Tieren ließ Gott der Büßerin Maria Magdalena ein Fell wachsen, als sie mit ihren Brüdern in einem steuerlosen Schiff auf dem Mittelmeer ausgesetzt wurde und in Südfrankreich strandete. In der Nähe von Plan-d'Aulps-de-Sainte-Baume lebte sie in einer Höhle. [4] Andere Darstellungen zeigen die vermeintliche Prostituierten Maria Magdalena mit bodenlangem Haar. Ihre Nacktheit sollte bedeckt und gleichsam ihre Existenz als Sünderin äußerlich sichtbar gemacht werden.

 

Antonio Vivarini, die hl. Maria Magdalena, von Engeln emporgetragen, 1418-1484, Venedig, Gemäldegalerie, Berlin

 

Wie sich Nicole Kidman als Diane Arbus in Fur: An Imaginary Portrait of Diane Arbus [5] in den Mantel ihres Geliebten, eines Wolfsmenschen schmiegt – der Mantel wurde aus dem von seinem Körper entfernten Haar geknüpft – so sind sich Mode und Körper in keinem Moment näher als durch das Tragen eines Felles, Pelzes oder Leders: „Indem der Pelz also gleichermaßen die Haut wie deren Hülle repräsentiert und die Frage aufkommt, ob der Pelz übergestreift oder womöglich gewachsen ist, wird die verdrängte Doppelnatur des Menschen als instinkthaftes Natur- und zivilisiertes Kulturwesen aufgerufen“ [6]

 

Fur: An Imaginary Portrait of Diane Arbus, 2006, Steven Shainberg

 

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[1] https://www.sat1.de/ratgeber/beauty-wellness/haare

[2] Vgl. https://channel.louisiana.dk/

[3] Vgl. allg. Hotel New Hampshire, John Irving, 1981, E.P. Dutton Verlag, New York

[4] Vgl. Ökomenisches Heiligenlexikon, https://www.heiligenlexikon.de/BiographienM/Maria_Magdalena.html

[5] Vgl. Fur: An Imaginary Portrait of Diane Arbus, 2006, Steven Shainberg

[6] Heike Eipeldauer, in: Meret Oppenheim. Retrospektive, S. 20, Hatje Cantz Verlag, 2013, Berlin