So wie es ist

08-11-2022 / Sophie Aigner

Zuletzt sind mir einige Bücher untergekommen, in denen Künstlerinnen recht offenherzig berichten: über ihre (tägliche) Kunstproduktion, über ihre Suche nach einer eigenen Sprache und über ihren Platz im Kunstbetrieb. Ich habe mich gefragt, ob es insbesondere oft Künstlerinnen und nicht Künstler sind, die freimütig über diese Themen schreiben, die sonst gerne verschwiegen werden? Grundsätzlich habe ich von männlichen, etablierten Künstlern oft den Ausspruch gehört: „Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort“. Von etablierten Künstlerinnen habe ich diesen Satz noch nie gehört. Freilich, sie mussten sich ihren Platz in der Kunst hart erarbeiten, solch eine Aussage würde diese Anstrengungen klein machen. Fast tut es mir ein bißchen leid, dass männliche Künstler die eigenen Anstrengungen klein reden, indem sie sagen „sie waren eben zur richtigen Zeit am richtigen Ort“. Gleichzeitig erzählt es mir auch Folgendes: „Einzig die Qualität meiner Arbeit hat diesen/meinen Erfolg gebracht, mein tägliches Ausprobieren und Verwerfen, mein Zweifeln und Hadern, mein Netzwerken dagegen erwähne ich nicht“. Möglicherweise würde KünstlerInnen sogar explizit abgeraten werden, sich zu sehr „in die Karten schauen zu lassen“.

Beispielsweise folgende Publikationen sind mir aufgefallen: „Zorniges Schreiben“ von Miriam Cahn, „Feelings are facts“ von Yvonne Rainer – und (davon möchte ich hier mehr erzählen): „Briefe aus New York 1966 – 1968 an zu Hause“ von Hanne Darboven. „Briefe aus New York“ versammelt Briefe als Faksimiles abgedruckt, adressiert an ihre Eltern in Deutschland. Hanne Darboven selber ist zu dem Zeitpunkt Mitte 20 und nach New York gegangen, mit Unterstützung ihrer Eltern. Ihre Ambition ist es, mit ihren Arbeiten in der Kunstwelt Fuß zu fassen. Dafür betreibt sie umfangreiches Netzwerken, sucht regelmäßig Kunstagenten auf, spricht übers Geschäftemachen, scheut sich nicht davor sich anzubieten. Als Hanne Darboven die Briefe herausbrachte, war sie 56 Jahre alt und etabliert im Kunstbetrieb. Dennoch ließ sie selbstbewußt zu, sich (rückblickend) in die Karten schauen zu lassen.

„Habe meine Sachen ausgepackt, ihm meine Absichten, Bezugs Verkauf klargemacht, wenn ja, über ihn, als Artconsultman, doch ich sei momentan nicht interessiert, dass er für mich Bezugs einer Galerie arbeitet. Er hat es wohl verstanden, fand es recht klug von mir, obwohl er an meine Sachen glaubt und natürlich auch gerne ein Geschäft machen würde, denn wenn ich ihn als Artconsultman nehmen würde, kostet eben alles Geld.“

All ihre Bemühungen, in den Betrieb aufgenommen und gesehen zu werden, legt sie ihren Eltern ausführlich dar. Teilweise handeln einzelne Briefe ausschließlich davon, wen sie kennengelernt hat, wo sie war und welche Fortschritte sie macht, um sichtbar zu werden. Überhaupt scheint sie begeistert von ihrem neuen Umfeld und inspirierenden Begegnungen.

„Dann haben wir noch Galerien besucht, bin wieder vorgestellt worden, und wieder Leute kennengelernt. […] Sind ins Chelsea Hotel, ein Hotel wo eigentlich nur Künstler wohnen, ihre Ateliers haben usw. Dort gute Sachen getrunken, wieder Künstler kennengelernt, vorgestellt worden, Adressen ausgetauscht, eben alles was dazu gehört.“

Immer wieder schreibt Hanne Darboven ausführlich von der Suche nach einem eigenen Standpunkt, beschreibt die Entwicklungen, die sie macht, das Auseinandersetzen mit der eigenen Arbeit.

„Habe ständig weiter Dinge entwickelt – Sprünge u. Nichtsprünge gemacht – nun vielleicht war es recht so – habe an jenen Sprüngen, den so entstandenen Arbeiten – von Zeit zu Zeit mehr erfahren – nun – angereichert von Erfahrungen und Möglichkeiten – habe ich diesen Punkt durchexerziert. […] Diesen Punkt, eine Sache – die ich anfangs hier entwickelt habe, ein Ergebnis aus meinen vorangegangenen Arbeiten + Zeiten. Dieser gefundene „Punkt“ oder diese gefundene „Sache“ ist, will man es beschreiben, wohl eine Addition jener informellen Malerei.“

Regelmäßig und überschwänglich bedankt sich Hanne bei ihren Eltern für deren mentale und finanzielle Unterstützung. Es klingt durch, als ob die Eltern sich schwer tun, ihre Tochter im Ausland zu wissen. Und auch die Tochter selbst, Hanne Darboven, erzählt von ihren Ängsten, die sie selber hatte: vor ihrem Weggang und in Bezug auf ihren Weggang. Sie fühlt sich außerdem in ihren Briefen verpflichtet, ihre Eltern zu beruhigen ob ihres Seins im Ausland, zu betonen, dass sie noch stets die „gleiche“ ist. Gleichzeitig weist sie immer wieder darauf hin, dass sie, wäre sie in Hamburg geblieben, sich nie zu der selbstbewußteren Person entwickelt hätte, die sie nun sei.

„Meine zeitweilige Entfernung hat mich nicht von Euch – von Allem entfremdet, vergessen lassen. Lieber Papa, du bist sehr groß – mir diesen Aufenthalt hier zu geben! In jeder Form – ich empfinde es als eine Anerkennung – die man ja doch von Zeit zu Zeit sehr braucht und als eine Vertrauenssache mir gegenüber. [...] Ich weiß um Dein Entbehren, Papa, um Deinem Wunsch nach unseren abendlichen Gesprächen – haben wir doch beide viel davon gehabt. […] Doch ich möchte Dir bescheiden, lieber Papa, vergewissern – säße ich Dir jetzt gegenüber, unsere Unterhaltung, unser Verstehen, wären – unverändert durch Zwischenzeit – Entfernung von gleichem Wert – vielleicht durch eine Zeit des nichttäglichen Zusammenseins sogar gesteigert, bereichert.“

Entlang der Monate liest sich eine Hanne Darboven, die immer selbstsicherer ob ihrer eigenen Kunst und einem kunstbetrieblichen Gegenüber wird. Gleichzeitig treten existentielle Fragen mehr und mehr in den Vordergrund, welche gegen Ende ihrer Zeit in New York vor allem stichpunktartig in Worte gefasst werden. Fast scheint es, als würden das Zeichnen, Denken und Schreiben immer mehr eins.

„Ja, es verdichtet sich. Labyrinthisch, labil, kurios. Doch kenne mich aus, mehr und mehr. Habe das Gefühl, je weiter ich komme, herausfinde, desto verwirrender, unkenntlicher für den Fremden. Doch,– wie schon gesagt,– was ist's, wer weis was, was weis ich, was weis wer? u.s.w. Ein Anfang ohne Ende, oder ein Ende ohne Anfang?“

Zusammenfassend würde ich sagen, dass sich in den Briefen folgende Themen regelmäßig abwechseln und einen starken Fokus ihres Schreibens bilden: die Aufzählung all ihrer kunstbetrieblichen Aktivitäten, Ausformulierungen der eigenen Werkentwicklung, die wiederholte Danksagung an ihre Eltern, Hinterfragung von Existenz.

Ich würde Hanne Darboven liebend gerne fragen, aus welchem Grund sie sich zur einer Veröffentlichung der Briefe entschloss. Sah sie darin ein historisches Dokument, ein Dokument erzählter Zeitgeschichte anhand der eigenen Biographie? : Eine Künstlerin, geboren in den 1940er Jahren, emanzipiert sich von den Eltern, von vorgefertigten Lebenswegen, von Deutschland und innerhalb eines männlich geprägten Kunstbetriebs. Oder war ihr Ansatz zur Veröffentlichung, einen erweiterten Zugang zu ihrem künstlerischen Werk zu ermöglichen? Oder aber war es für sie schlicht das, wofür sie bekannt ist: ein Werk der Bildenden Kunst? Was auch immer ihre Beweggründe waren: sie zeigt uns in ihren Briefen eine Suche nach Erfassung von Wirklichkeit. Und um auf den Ausgangspunkt des Textes zurückzukommen: Ich denke, Hanne Darboven war als Künstlerin eben nicht „zur richtigen Zeit am richtigen Ort“. Sondern sie war: zu einer zufälligen Zeit an einem zufälligen Ort, an dem sie die richtigen Dinge in Bewegung brachte.

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text version from the panel discussion 2022 „Why have there been no great women artists“
organized by Performing Encounters and Saloon Berlin

„Briefe aus New York 1966 – 68 an zu Hause“, Hanne Darboven, Hatje Cantz Verlag