Fotografie zerstören
26-01-2024 / Mira Anneli Naß
Die im Ausstellungstitel appellartig beschworene Zerstörung der Fotografie lässt sich auf verschiedene Arten denken. Das betrifft zunächst fotografische Materialität(en): im digitalen Zeitalter scheint sich ein Datensatz auf dem Computer oder dem Smartphone ganz einfach verändern oder löschen zu lassen. Dieser Versuch aber hinterlässt eine Spur, und das (ursprüngliche) Bild kann noch lange nach dem Löschvorgang forensisch rekonstruiert werden. Oftmals gibt es zudem Kopien einer Aufnahme in der Cloud, oder Screenshots eines Posts: die „Racheengel der Fotografie“. [1] Anders ist dies bei analoger Fotografie: Das Foto – der Abzug – muss zerrissen, zerschnitten, die Oberfläche übermalt oder zerkratzt, die papiernen Fetzen – und zuletzt auch noch das Negativ – verbrannt werden. Auch das hinterlässt eine Spur – die Asche – doch sie kann nicht mehr zusammengesetzt werden. In der schier endlosen Masse an Fotografien, die jede Sekunde (re)produziert und online geteilt werden, bleiben viele Bilder unsichtbar. Dies gilt auch für die Unmengen von Fotografien in privaten Familienalben, die sich niemand mehr anschaut. Ein Bild, das nicht betrachtet wird – auch das kann eine Form der Zerstörung sein. Vielleicht aber gibt es all diese ungesehenen Fotos auch dann noch, wenn es längst keine Menschen mehr gibt, und sie zirkulieren endlos weiter wie der Müll im Weltraum. Allemal ist die Fotoindustrie eng mit der Produktion von Abfall und damit auch mit den Umweltveränderungen unserer Zeit verwoben: vom Abbau von Salz, Kupfer oder Silber für die frühe analoge Fotoproduktion bis zum CO2-Austoß, der bei der Speicherung digitaler Bilder entsteht.
Seit jeher zeichnet sich Fotografie durch eine Dialektik aus Bewahrung und Zerstörung aus. Das betrifft auch die Geschichte(n) des fotografischen Mediums, ebenso wie die Fotografie als Medium der Geschichtsschreibung. Im fotografischen Bild blitzen Erinnerungen auf. Es kann helfen, Geschichte(n) wachzurufen oder zu bewahren und hat das Potenzial, zu mahnen. Fotografien konstruieren Geschichte(n) aber auch, und tragen so zur herrschenden Gesellschaftsordnung bei. Sie stabilisieren Ideologien und Systeme und die Mythen, die diese brauchen: Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus, Antisemitismus etc. Sie vermitteln ein Bild von etwas und sind damit zugleich elementarer Bestandteil von dessen Konstruktion. Im ikonographischen Nachleben der Bilder schreiben sich diese Mythen fort. Fotografien können Systeme zugleich untergraben, indemsie sichtbar machen, was unsichtbar bleiben soll, oder ein anderes Bild von etwas zu geben versuchen. Das kann subversiv und progressiv, aber auch reaktionär und regressiv genutzt werden. So lässt sich Geschichte durch Fotografie(n) zerstören. Wie nun lässt sich die Geschichte einer Fotografie zerstören? Die Erinnerung an eine Fotografie scheint langlebig: Solange sich jemand an ein Foto erinnert, oder Bilder in Texten beschrieben werden, solange kann die Geschichte einer Fotografie andauern. Durch De- oder Neukontextualisierung aber können Fotografien ihrem Entstehungskontext und ihrer ursprünglichen Gebrauchsweise enthoben werden. Das birgt Tücken: Noch der gewaltvollste Bildgegenstand kann auf diese Weise eine Ästhetisierung erfahren, und als Kunstwerk gehandelt, vermarktet, ausgestellt werden: das militärische Aufklärungsbild wird so zum Symbol modernistischer Abstraktion, die Aufnahme vom Leiden anderer zum Fetischbild.
Unzählige Theorien der Fotografie konstatieren zudem, dass es Fotografie(n) nicht ohne Zerstörung gibt. „Fotografieren“, schrieb die Kulturkritikerin Susan Sontag, „bedeutet teilnehmen an der Sterblichkeit, Verletzlichkeit (...). Eben dadurch, dass sie diesen einen Moment herausgreifen und erstarren lassen, bezeugen alle Fotografien das unerbittliche Verfließen der Zeit.“ [2] In der Fotogeschichte ist die Zerstörung eines Augenblicks, der Tod, ein etablierter Topos. Katharina Sykora hat in ihrer Studie Die Tode der Fotografie die Totenfotografie als frühe soziale Gebrauchsweise des Mediums untersucht: Fotografie als Versuch, den körperlichen Verfall aufzuhalten. [3] Auch Roland Barthes schrieb in Die helle Kammer, Fotografie setze den Tod in die Zukunft. [4] Die Aufgabe einer bildkritischen (Theorie-)Arbeit ist es dagegen, einen herrschenden Oberflächenfetischismus – die Konzentration auf die Bedeutung einer Fotografie – zu durchdringen, zu zerstören. Denn die „Bedeutung der Bilder“, schrieb Vilém Flusser in seinem Essay Für eine Philosophie der Fotografie, „liegt auf der Oberfläche. Man kann sie auf einen einzigen Blick erfassen – aber dann bleibt sie oberflächlich.“ [5] Es gilt deshalb, die Logistiken und Ideologien der Fotografie, also ihre Produktionsbedingungen, Gebrauchskontexte und Wertschöpfungsmechanismen, ihre Versprechen aufzuzeigen – und also zu dekonstruieren, zu zerstören – um einer Wirklichkeit hinter den Bildern näher zu kommen. [6]
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[1] Paul Frosh: Screenshots. Racheengel der Fotografie, Berlin 2019.
[2] Susan Sontag: Über Fotografie, Frankfurt am Main 2011, S. 21.
[3] Vgl. Katharina Sykora: Die Tode der Fotografie I, München 2009.
[4] Vgl. Roland Barthes: Die helle Kammer, Frankfurt am Main 1985.
[5] Vilém Flusser: Für eine Philosophie der Fotografie, Berlin 1983, S. 8.
[6] Vgl. zur Theorie des logistischen Bildes exemplarisch Allan Sekula: Photography Against the Grain. Essays and Photo Works 1973–1983, Halifax 1984; für eine feministische Analyse der Politiken fotografischer Kritik, Geschichte und Praxis: Abigail Solomon-Godou: Photographyat the Dock. Essays on Photographic History, Institutions, and Practices, Minneapolis 1991.
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Text anlässlich der Ausstellung Fotografie zerstören im Frise Künstler*innenhaus Hamburg
Ausstellung: 20. – 28. Januar
Geöffnet:
Fr Sa + So, 15 – 19 Uhr
u. n. Absprache
mit Arbeiten von Laurel Chokoago, Elisa Goldammer, Maik Gräf, Almut Hilf, Maximilian Koppernock, Mitko Mitkov, Caspar Sänger, Jenny Schäfer, Wiebke Schwarzhans, Dirk Stewen, Daniela Zeilinger mit einem Text von Mira Anneli Naß.