Kleine Gesellschaft für Traum und Gefäße
15-05-2025 / Alexander Rischer
Im Zusammenhang mit unserem Traumerleben fällt gelegentlich das Wort „Ausschüttung“, und wie die große alte hermetische Alchemie, so ist auch unsere Gehirnalchemie ein Gebilde aus Zu- und Abflüssen, Gefügen von Gefäßen und deren Verzweigungen, aus Tiegeln und Retorten, Ampullen, Alembiken, Aludeln und Phiolen, ein Mysterium Coniunctionis.
Hermetisch nicht, weil luftdicht verschlossen und versiegelt, sondern nach dem mythischen Hermes Trismegistos, dem Dreifachen, Mittler zwischen Orient und Okzident, zwischen Läuterung und Erlösung der Seele und praktischer Lebensmeisterung (und dafür werden in jedem Fall Gefäße benötigt).
Der Übergang von der Sublimation, dem Phasenübergang, läuternder Veredlung von lastend Festem zu aufsteigend Luftigem, zu Sublimierung, Umleitung (oder auch Umschöpfung!) von Triebenergie – das ist ein fliessender Übergang, von der Phase zur Vase; er fasst sich an der Nase
und sagt das Beste in der Vase ist die Kirche im Dorf und hallo, jeder durch das ehrgeizige Loch
in einen Traum von einer unberührten ..Hallo Vase von Innen! Hallo Vase von Innen, wir sind
das System..*
Obgleich wir doch wissen, dass Traumgeschehen und dessen suggestive Szenen und Episoden der Begegnung mit Fremden, Besuchern von Außen, das Verweben mit Fern-Figurationen, sich doch allein aus uns schöpft und sich in uns ereignet, fühlen wir uns doch wie eine Schale, in die von außen gegossen wird, bis über den Rand, und in jenem schwungvollen Sprudeln und Kreiseln der Bilder ist alles in Bewegung, sie lösen sich aus dem Tagesrest, und jener matte Satz am Boden der Phiole gewinnt wieder an Geschmeidigkeit und Glanz, nimmt Fahrt auf und verbindet sich mit allem im Jenseits unserer (Hirn)-Schale – zumindest potentiell.
Arkanum 14, die Mäßigkeit, ist uns im Tarot mit der Darstellung einer engelsgleichen lichten Figur vertraut, die behende aus dem einem Kelch in den anderen gießt, dabei einen Fuß auf der Erde und den anderen im Wasser, mittelnd zwischen stet und unstet, fest und fluid.**
Aleister Crowley taufte Arkanum 14., mit einer handvoll Alkahest aus seinem Flakon, in seiner
Version des Tarot schlichtweg Kunst. ***
Ein obskurer Ferdinand Maack las einst aus der Formverwandtschaft unserer Fingerkuppen- Linien mit unseren Gehirnwindungen Beweiskraft für seine Theorie heraus, in den Fingerspitzen befände sich unser zweites vergessenes Gehirn – was die Arbeit beim Formen eines Gefäßes, aus Ton etwa, in ein besonderes Licht rückt, und überhaupt ist es doch eine aufschlussreiche und inspirierende Idee, indes als Vorstellung nicht in allen taktilen Angelegenheiten und Gemengelagen angenehm (was uns nicht zuletzt auch wieder zur Sublimierung zurücktreibt).****
Kopf und Hand in fließenden Austausch zu bringen, mithin die zwei Gehirne als die zwei Kelche, die sich in Schleife, ohn' Unterlaß und Verlust, aus- und ineinandergießen als täten sie es ganz von selbst, so wir sie denn nur lassen und es nicht zu sehr wollen – das gelingt wohl nur im Nichtdrandenken.
Was der Psychoanalyse als Verschluss-Sache die Krypta ist, mit ihrer verriegelten Panzertür, ist für die andere Hermetik, die der Gefäße, das Einweckglas. Beide gleichwohl im Keller, die Gläser hoch und in die Tiefe gestapelt in mehreren Reihen, wie andernorts im Karner die Köpfe zahlloser (und oft auch zahnloser) Verblichener.
Gefäße sind tröstlich, denn sie bannen Verfall, zögern ihn hinaus, erhalten und enthalten das Flüchtige, Verderbliche, sie bewahren für die Zukunft. Sie halten die Luft an und stehen für das Versprechen, dass es eine Zukunft gibt und dass man ihr gut vorbereitet mit seinem selbst
Eingekochtem entgegentritt (die Ravioli -Konserve ist nicht zukunftsfähig, sondern zeigt Kapitulation zu Lebzeiten an).
Bricht einer das Tabu eines Tages und öffnet verstohlen, von Gier und Neugier getrieben, das Einweckglas (wenn es nicht das eigene ist), so wandelt es sich zum Aufweckglas, und der entrückte „stumme“ Traumzustand im Unzugänglichen ist jäh beendet; der Spuk ist vorbei – oder aber beginnt!
Das Aufgehobene, das Aufgeschobene, es bricht in die Gegenwart ein, kehrt zurück! Und der Traum wird laut.. (Interessant sind die Überforderung und der Grusel, die uns angesichts geerbter unversehrt gefüllter Einmachgläser unbekannten Alters befallen als aber auch das Phänomen, dass es zum Ritual des Einkochens und Einweckens gehört, Überfluss zu produzieren und diese Schwemme von gestern in sein ergebenes Umfeld mit der implizierten Ermahnung zu verteilen: Denk wie ich doch auch Du heute schon an morgen!)
Diese Kleine Gesellschaft stellt also nicht von ungefähr dem Traum das Gefäß gegenüber, sozusagen. Vielmehr: sie stehen dicht nebeneinander und tuscheln.
* Cpt. Kirk &., Hallo Vaseline, vom Album Reformhölle, 1992
** Rider Waite Tarot, Arthur Waite und Pamela Colman Smith, London 1910
*** Thoth Tarot, Aleister Crowley und Frieda Harris, London 1944
**** Ferdinand Maack, Das zweite Gehirn, Hamburg 1921
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Die Ausstellung Kleine Gesellschaft für Traum und Gefäße wurde von Micha Mohr und Alexander Rischer kuratiert. Im Hinterconti in Hamburg werden die Arbeiten der Künstler*innen : Anna Lena Grau, Simone Kesting, Frank Roeseler-Brovira, Maria Schmutte gezeigt.