Propfmethoden

02-03-2019 / Anna Grath und Mitko Mitkov

Es folgen ein paar Auszüge aus dem Künstlergespräch zwischen Anna Grath ( A ) und Mitko Mitkov ( M ). 

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( M ) Wir sitzen hier am Tisch mit Anna Grath. Anna ist bildende Künstlerin und arbeitet überwiegend mit Alltags- und Gebrauchsgegenständen, die sie neu miteinander verbindet. Leitgedanke unseres Gespräches ist, dass das Kombinieren ein Aspekt des Spielens ist. Meiner Ansicht nach ist es die Fähigkeit zu kombinieren, die Anna perfektioniert hat und was in ihrer Arbeit heraussticht. Wir haben überlegt, wie wir an dieses Gespräch herangehen: Naheliegend wäre es gewesen, Annas Arbeiten anzuschauen und zu analysieren. Spannender kam uns aber vor, eine Auswahl von Material, das relevant für Annas Arbeit zu sein scheint, anzusehen und darüber zu sprechen. Wir hoffen, so einen Einblick in die Art und Weise zu bekommen, wie sie arbeitet.

( A ) Also, wir sprechen über Dinge. Mitko und Franziska haben mich gebeten, Bilder und Texte zu schicken, die ich interessant finde – das war erstmal die Maßgabe. Inwiefern das mit meiner Arbeit zu tun hat, wird dann ersichtlich oder nicht.

( M ) Sagen wir, es ist ein Versuch… Was ist hier auf dem ersten Slide zu sehen?

( A ) Was wir hier sehen, sind zwei Bilder verpropfter Kakteen. Das Pfropfen ist eine Technik, die man anwendet, wenn man Kakteen umformen will. Es gibt unterschiedliche Gründe warum man das macht. Zum Beispiel um Kakteen zu retten, wenn sie krank sind und zum Beispiel an Wurzelfäule leiden. Dazu wird auf eine stabile Kaktus-Unterlage ein Pfröpfling gesetzt, so dass beide Teile verwachsen. Die meisten Kakteenfreunde machen das deshalb, weil sie sich wünschen, dass die Kakteen schneller blühen. Es kann oft mehrere Jahre dauern bis ein Kaktus auf natürliche Weise blüht – so wird der Prozess beschleunigt. Gleichzeitig ist das Verfahren bei manchen Kakteenliebhabern verpönt. Es gibt in einigen Büchern sogar Pro- und Kontra-Listen zum Thema. Die Einen sind dagegen, weil sie es für unnatürlich halten, Andere freuen sich über den Effekt des gärtnerischen Eingriffs. 

 

 
 

 

( M ) Ein bisschen wie in unterschiedlichen Kunstgattungen. Es gibt Maler, die figurativ malen und dabei einigermaßen pragmatisch vorgehen. Und es gibt zum Beispiel abstrakte Expressionisten, die meinetwegen daran interessiert sind, wie das Bild am schönsten blüht.

( A ) Ja, man könnte sagen, dass Verpfropfen eine Mischtechnik ist. Man kann etwas zusammenbringen, das dann meistens mehr und subjektiv bessere Eigenschaften als das Einzelne hat. Man erweitert dann.

( M ) Klar. Es gibt weitere Möglichkeiten. Man kann verpfropfen, aber man kann auch reduzieren. Wie beim Olivenbaum, wo man regel-mäßig die Auswüchse am Stamm und an den Ästen entfernen muss, um ihre Furchtbarkeit zu erhöhen. Oder  man kann kreuzen, zum Beispiel um aus zwei vorhandenen Maissorten eine neue entstehen lassen.

( A ) Ja, vor allem das Ausdünnen zugunsten einer klaren Richtung spielt eine Rolle beim Formieren. 

( M ) Genau, du setzt aber auch etwas neues in deiner Arbeit zusammen
aus Sachen, die es schon gibt.

( A ) Meistens ist es ja so, dass ich Dinge benutzte, die schon vorher eine bestimmte Funktion hatten. Wenn man eine Auswahl trifft und diese miteinander kombiniert, geht man über deren einzelne ursprüngliche Funktionen hinaus. Wenn ein Kaktus eine gute Standfestigkeit hat, aber dazu später auch eine schöne Blüte – so kann ja auch eine Skulptur funktionieren, in der man bestimmte Eigenschaften zusammenbringt.

( M ) Mit dem nächsten Bild kommen wir aus dem Kakteenreich raus und in die Nutzform.

( A ) Ja, das ist aber erstmal nur eine andere Art und Weise von Formierung. Eher mit mechanischem oder vielleicht sogar erzieherischem Ansatz. Anstatt dass man etwas wegschneidet oder zuschneidet, bringt man etwas in Form. Wie diese viereckige Wassermelone, die man ein einem Kasten wachsen lässt. Ziel dabei ist eine größere Effizienz beim Transport und in der Lagerung. Es steckt also ein ökonomischer Aspekt dahinter. Soviel ich weiß, lohnt sich das Ganze aber wiederum vom Arbeitsaufwand her bei der Wassermelone nicht.

 

 

 

Beim Spalierbaum zum Beispiel ist es so, dass die Leitäste abgebunden und so in jede Richtung beeinflusst werden können. Man kann ihnen also vorgeben, in welche Richtung sie wachsen sollen. Das hat zwar weniger Attraktion wie viereckige Wassermelonen, ist aber sehr effizient. So brauchen die Bäume weniger Platz. Sie sind auch aus einer Notwendigkeit entstanden, nämlich auf wenig Raum maximale Ernte erzielen zu müssen. Zum Beispiel an einer Wand. 

 

 

 

( M ) Was ich interessant finde ist, dass etwas mit Gewalt erzwungen wird und trotzdem, egal was man macht, wachsen die Bäume als lebende Organismen weiter und passen sich an.

In deiner Arbeit sind das aber Gegenstände, die nicht mehr leben. Du gehst da aber auch sozusagen gewaltig vor und zwingst sie in eine ursprungsentfernte Form.

( A ) Auf jeden Fall. Es findet ein Formierungsprozess statt und damit geht glaube ich einher, dass ein Gewaltmoment stattfindet.

( M ) Und wann hört es auf? Wann weißt du, dass du die endgültige Form erreicht hast?

( A ) Vielleicht ist es auch so wie bei den Bäumen: Das Ziel ist erreicht, wenn die Arbeit im besten Sinne Früchte trägt. Man hat aber ja vorher auch eine Idee, was eine Arbeit tun soll, wie sie sich verhalten soll. Trotzdem kann ich oft vorher oft nicht ganz genau definieren, wo der Endpunkt ist. Im Gegensatz zum Baum, der irgendwann wunschgemäß entweder dekorativ ist oder eine gute Ernte abwirft, also sein ästhetisches oder ökonomisches Ziel erreicht, kann ich die Sorte Ziel, die eine Arbeit erreichen muss um fertig zu sein, nicht so genau definieren, es ist viel variabler. Vielleicht ist die Parallele zum Spiel genau da, weil gerade beim Spielen nicht die Frage nach der Effizienz im Vordergrund steht, eher im Gegenteil.

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( M ) Was gibt es hier zu sehen? 

( A ) Das ist Formwäsche. Das ist auch eine Formierungsmethode. Statt Pflanzen sind es hier Körper, auf die eingewirkt wird. Da ist es natürlich nicht so, dass man die Wuchsrichtung ändern kann, aber man kann die Erscheinung beeinflussen, indem man die Wäsche anzieht. Damit werden Sachen eingedrückt, gequetscht und aufgerichtet von den man sich eine gewisse Art von ästhetischer Effektivität verspricht. 

 

 

 

( M ) Also, es geht wieder um Form-erzwingung. 

( A ) Ja, was du gerade mit dem Gewaltmoment meintest, spielt hier auch eine ziemlich große Rolle. Wird aber gleichzeitig von den Trägern und Trägerinnen nicht so schwer bewertet wie das, was am Ende der Mehrwert ist. Ich denke, dass man im Endeffekt bewegungsmäßig etwas eingeschränkt ist, aber es scheint keine so große Rolle zu spielen im Vergleich zu dem was erreicht werden soll.

( M ) Mir fällt auch ein, dass die Formwäsche dann mit Kleidung eingehüllt wird. Es gibt ein Moment der Vortäuschung. Du hüllst aber in deiner Arbeit Sachen nicht ein. Im Gegenteil, wenn man eine Arbeit von dir anschaut, ist ihre Zusammensetzung meistens offenbart.

( A ) Täuschung ist auch nicht unbedingt etwas, was mich persönlich interessiert. Diese Körper und diese Pflanzen wollen ja auch gar nicht darüber hinweg täuschen, dass sie Pflanzen oder Körper sind. Es ist eher so, dass Werkzeuge benutzt werden oder Handhabungen, die ihre Form verändern. Es geht mir also nicht um das Täuschen, sondern um das Formieren, ich finde eher das Bildhauerische am Push-Up-Kissen, dass man sich um den Körper schnallen kann, interessant.

 

 

 

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( A ) Wier sehen wir ein Bild, dass Wikipedia zeigt, wenn man sich den Begriff „Epithese“ erklären lassen will.

 

 

 

( M ) Es gibt „Epithese“ und „Prothese“.

( A ) Eine Epithese bedeutet „das Aufgesetzte“ und sie übernimmt oder unterstützt nicht die Funktion eines fehlenden Körperteils wie Bein- oder Armprothesen es machen. Ihre Funktion ist eher augenscheinlich und sie kommt oft im Gesicht zur Anwendung, wenn zum Beispiel Teile davon aufgrund eines Unfalls fehlen. Die Epithese wird aus Kunststoffen maßangefertigt, damit sie passgenau im Gesicht integriert werden kann. 

( M ) Dann geht es mehr um Augenscheinlichkeit als Funktion.

( A ) Genau, wobei man kann sich dabei auch streiten wo da die Grenze ist, weil die Epithese eine ganz klare soziale Funktion hat. Eine Gesichtsepithese geht da weit über das hinaus, was Fake-Fingernägel, die auf dem anderen Bild zu sehen sind, leisten. Die Fake-Fingernägel sind ja sozial nicht wichtig. 

( M ) Aber vielleicht ist es schon eine gesellschaftliche Epithese, wenn man so lange Fake-Fingernägel in gewissen Kreisen trägt. 

( A ) Ich finde man kann das schon durchaus vergleichen. Nur nicht unbedingt, was die Dringlichkeit angeht, also wie sehr man sowas braucht. Die Fake-Fingernägel sind  halt auch Aufsätze. Es gibt noch viele andere Aufsätze die man am Körper zur Optimierung befestigen kann, wie zum Beispiel Haarclips, die die Haare voller machen, oder dichte falsche Wimpern, Toupets etc. Auch innerhalb einer Skulptur kann es nützlich sein, wenn man Aufsätze zur Optimierung zur Hand hat. Mit augenscheinlichem oder funktionalem Zweck.

 

 

 

( M ) Im Nachhinein frage ich mich, inwiefern du Objekte als Epithesen verstehst. Objekte wie Kleiderhaken, die du benutzt, kann man im Alltag als eine Art von Prothese als Hilfsmittel verstehen, die unser Leben erleichtern, aber in deiner Arbeiten dienen sie eher dem Augenschein.

( A ) Bei den Objekten mit denen ich arbeite, frage ich mich welche Funktion sie haben; ich werde deswegen auf sie aufmerksam, oder ich suche sie deswegen, weil sie bestimmte Funktion haben, die ich erweitern kann oder die ich ihnen wegnehmen kann. So dass sie in einem Gefüge ein bestimmtes Narrativ kriegen oder bestimmte formale Qualitäten sichtbar werden. 

( M ) So, wie wenn man den Fingernägeln ihre Funktion wegnimmt, wenn man sie umdreht. Dann hat man plötzlich ein Bild, das eher narrativ ist und etwas anderes suggeriert.

( A ) Genau. Dadurch werden die Fingernägel noch mehr zu Finger-nägeln, weil sie sichtbarer dadurch werden, dass sie ihre Position verändern. Also, wenn sie ihre übliche Choreographie nicht einhalten.

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( M ) Mir haben über Zusammenstellungen schon gesprochen und hier liegt auch einen Katalog von dir – „Im Zustand der Starre kann man Stabheuschrecken wie Streichhölzer zusammenlegen ohne dass sie die geringste Bewegung machen“. Am Ende des Katalogs befindet sich ein Glossar und du hast dafür unterschiedliche Menschen gefragt, ob sie zu bestimmten Begriffen etwas schreiben könnten. Es gibt also einen Katalog, der schon bestehenden Arbeiten von dir abbildet, aber dazu gibt es am Ende das Glossar, dass man als eine eigenständige künstlerische Arbeit betrachten kann. 

( A ) Ich habe das mit dem Glossar so gemacht, dass ich erstmal gewildert habe – in der Literatur, in Sachbüchern oder im Internet. Ich habe auch Diplomarbeiten von Freunden gelesen und bin da fündig geworden. Dann habe ich einige Kollegen, Freunde und Fachleute gebeten, für mich zu bestimmten Begriffen zu schreiben, dort wo ich in einem Wort vielleicht eine potentielle Verbindung von meiner zu deren Arbeit gesehen habe. Das ist dann ein Sammelsurium sehr unterschiedlicher kurzer Texte geworden, die jetzt dem Bildteil des Kataloges anhängen. 

( M ) Im Glossar gibt es zum Beispiel den Begriff „Schläger“. Du hast ein paar Floristen gefragt mit was für Blumen man einen Schläger binden kann, womit man jemanden oder etwas erschlagen kann.

( A ) Ja, ich habe Floristen zu unterschiedlichen Zeitpunkten beauftragt, mir einen Blumenstrauß zu binden. Wie er aussieht war egal, Hauptsache er erfüllt eine bestimmte Funktion: Er soll sich gut als Schlaginstrument eignen. Eine Floristin hat das besonders gut gemacht – sie hat einen sehr brachialen und brauchbaren Strauß gebunden. Sie hat mir dann auch die Zusammensetzung aufgeschrieben. Das Projekt hat bisher ziemlich interessante Blumensträuße ergeben, nicht weil die Blumen wirklich gute Schläger geworden sind, sondern hauptsächlich deswegen, weil es interessant ist, dass Floristen sehr schwer von dieser ästhetischen Funktion zu einer eher mechanischen überwechseln wollen, können oder möchten.

( M ) Auf jeden Fall, ich mag dein Glossar ganz gern, weil es sehr subtil ist. Es ist etwas, was man in Büchern nicht unbedingt immer beachtet. Aber wenn man tiefer geht, bekommt man einen guten Einblick und vielleicht findet man auch unterschiedliche Zusammenhänge zu deiner Arbeit.

( A ) Ich glaube, dass das möglich ist. Normalerweise sind Glossare Wörterlisten, die am Ende von Textbüchern stehen, um darin vorkommende Begriffe zu definieren oder zu erklären. Trotzdem steht die Behauptung im Raum, dass es sich um Erklärungen und Übersetzungen der vorangegangenen Abbildungen handelt, so wie es ein Glossar eben nahelegt.

( M ) Aber das Glossar kommen wir auch zum letzten Slide – der Bergriff „Verdichtung“. Wir haben es als letzten Punkt im Gespräch ausgesucht, weil „Verdichtung“ mehr oder weniger deine Arbeit zusammenfasst. Also, bei dir geht es meiner Meinung nach viel darum, wie man Sachen verdichtet bis sie ihre Endform erreicht haben.

( A ) Ich denke, dass es im Arbeitsprozess relativ wichtig sein kann, dass sowas wie eine Verdichtung stattfindet, ein Aussieben, eine Pointierung. Erfahrungsgemäß ist das Auf-dem-Punkt-kommen etwas, was immer auf der Agenda steht. Der kurze Brief der im Glossar unter „Verdichtung“ aufgeführt wird, ist eine Verdichtung par excellence, und übrigens das Gegenteil von dem was wir hier grade gemacht haben.