Erhöhtes Sicherheitsbedürfnis – Geringes Eigenkapital.
25-12-2017 / Raphael Dillhof und Nina Lucia Groß
„Entworfen wurde Flair 113, das meistgekaufte deutsche Markenhaus, für eine Klientel, die über ein hohes Sicherheitsbedürfnis und wenig Eigenkapital verfügt. (...) Es geht vor allem um Angstbeseitigung, man sei auch Psychiater – darum verteilen die Verkäufer Schlüsselanhänger in Form einer Sicherheitsnadel.“ Harald Willenbrock, Deutsches Haus
Nirgends manifestiert sich der Wunsch nach der sicheren und stabilen Zukunft besser als im Epitom kleinbürgerlicher Normalität: dem Einfamilienhaus. Attestierte der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich der BRD schon 1965 eine „Unwirtlichkeit“ ihrer Städte und erklärte das Einfamilienhaus zum „Inbegriff städtischer Verantwortungslosigkeit und der Manifestation des privaten Eigentums“, zur „aufwändigen Form der Asozialität“, so gilt es dafür heute eine Renaissance zu verzeichnen: 15,7 Millionen Einfamilienhäuser wurden Ende letzten Jahres in Deutschland gezählt, Tendenz seit Jahren kontinuierlich steigend. Es sind vor allem Schwellenhaushalte, die ihre Sorge vor sozialen und finanziellen Abstieg mit dem Kauf eines Hauses zu beruhigen hoffen: Nicht das ständig bemühte Phantom der Abgehängten, sondern die ebenfalls gern beschworene Mitte der Gesellschaft, denen die kontinuierliche Abgrenzung zu Ersteren zum Lebenssinn geworden ist.
Aber diese Abgrenzung soll bestimmt, nicht verzweifelt, mit Nachdruck, aber nicht zu auf dringlich geschehen. Keine Panik zeigen, Ruhe und Anstand bewahren, Geschmack und Souveränität beweisen – genau das ist man doch den Anderen voraus. Und so sorgfältig und subtil diese Abgrenzung stattfindet, so soll auch die Sicherheit im Eigenheim vermittelt werden. Längst keinen Prepper-Bunker will man schließlich, keine hohen Mauern oder Maschendrahtzäune, lediglich Komfort und Geborgenheit sind die gesuchten Attribute, die das Haus zur heiltherapeutischen Prothese des bürgerlichen Selbstverständnisses werden lassen. Vom genannten Bunker bleiben nur Reste, formale Überbleibsel, sich erinnernde Ähnlichkeiten. Der dressierte Buchsbaum wird so als ein formelhaftes Rudiment der wehrhaften Hecke auf den Plan gerufen, die Fenstergitter im Erdgeschoß werden zum Zierelement, das Überästhetisieren ihrer Gestaltung fungiert als performative Übersprunghandlung zur Angstbewältigung.
Mit Angst gewinnt man nicht nur Wahlen oder macht Auflage, auch Makler-Büros und Markenhaushersteller haben längst erkannt, dass sich mit Angst auch Häuser verkaufen lassen. Aber hier nicht über Hetze und Panikmache, sondern umgedeutet zu ihrem harmlos wirkenden Positiv, der Sicherheit. Die Strategie, die Makler und Musterhäuser in diesem Schauspiel also einsetzen, ist die der Normalität, die Requisiten sind Kakteen, hochdruck gereinigte Muscheln und flauschige BadezimmerTeppiche. Durch richtig gewähltes Dekor werden die potentielle Käufer*innen in der gesuchten Sicherheit gewogen.
Und auch in den realen Wohnwelten setzt sich der heimelige Wunsch nach Sicherheit durch kantenlose Normalität dann folgerichtig und ästhetisch konform fort. Auch hier manifestiert sich nicht das authentisch Private – wo SmartTVs in unsere Wohnzimmer hören und sich AirBnb freiwilligen Zutritt in jedes Heim verschafft, ist dieses schließlich längst keine Kategorie mehr – sondern sein Simulakrum. Die Insignien des ganz Privaten sind längst austauschbar, der persönliche Geschmack ordnet sich dem Sicherheitsbedürfnis, dem Wunsch nach nervenberuhigender Normalität unter. Ein unheimliches Schauspiel also, wenn in den inszenierten Fake-Heimen die selben impressionistischen Kunstdrucke an den Wänden hängen, die selben Naturfotografien durch den LCD-Bilderrahmen sliden wie im selbst kuratierten Wohnzimmer, wenn die selben Bodenvasen die Ecken verschönern, Makramée einen Hauch traditioneller Handarbeit ins Haus bringt. Real und Fake, persönlich oder vorgespiegelt, das ist letztlich kaum mehr zu unterscheiden. Aber genau das ist die Strategie, die Bedingung der Ästhetik des Normalen: Sie versichert sich in dieser Rückkopplung stets ihrer selbst, kann nur so überhaupt überzeugen.
Alles andere als harmlos allerdings ist dieser scheinbar so passive Rückzug. Die Deko-Spielereien täuschen nur oberflächlich über das große, perfide Versprechen des Einfamilienhauses hinweg: Denn wenn die Familie endlich ihr doppelt isoliertes energieschonendes Eigenheim mit geräuschdämpfendem Teppichboden und schallgeschützten Fenstern bezogen hat, dann ist die reale Festung komplett. Dass der Wunsch nach Sicherheit, der Komfort also leicht kippt, sich als Gewalt nach außen richtet, erkennt Adorno schon 1951, im amerikanischen Exil: „Die bewahrende Hand, die immer noch ihr Gärtchen hegt und pflegt, als ob es nicht längst zum »lot« geworden wäre, aber den unbekannten Eindringling ängstlich fernhält, ist bereits die, welche dem politischen Flüchtling das Asyl verweigert.“
Dieser Text erschien anlässlich der Ausstellung Comfort Island von Jenny Schäfer und Franziska Opel. Die Arbeit ist aktuell bis 21.01.2018 im Kunsthaus Hamburg zu sehen.
LITERATUR:
Theodor W. Adorno, Minima Moralia, Aphorismus 18. Frankfurt a. M., 22. Auflage, 1994.
Alexander Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer Städte, Frankfurt / M. 1965. Harald Willenbrock, Deutsches Haus, in: Brand eins, Heft 10 Oktober 2013, S. 8692.