Nichts lernen in Athen

13-08-2017 / Raphael Dillhof

Klar fahren wir nach Athen, um uns mit postkolonialistischer Kunst und Krisenverhältnissen auseinanderzusetzen. Also schnell eine spottbillige Ferienwohnung im internationalen AirBnB-Pastell-Look gebucht und los. Auf der Suche nach der Unterkunft sehen wir Menschen im Schatten von Orangenbäumen sitzen, an Tischen süßer kleiner Lokale, in hippen Bars und Coffeeshops. Wo ist denn die Krise? Achso, sagen wir, als wir kaum Griechisch hören. Alles Touristen.

Abends zur Eröffnung einer großen Galerie. Als wir dem Taxifahrer die Adresse zeigen, ernten wir Unverständnis. Das ist doch griechisch? Nur langsam dämmert uns, dass viele Fahrer einfach nicht lesen können. Wir sind unangenehm berührt. Erst recht, als die ganze Fahrt nur zwei Euro kostet. Und erst recht, als dann dort, am bunkerartigen Galeriebau, die schweren Metalltüren für uns zur Seite rollen. Aber immerhin Retsina in der Eiswanne, Plastikbecher daneben. Free for all. Total inklusiv.

Am Weg zur S-Bahn, in der abendlichen Betonhitze des Industriegebiets, in der die Kunstakademie liegt, hören wir plötzlich jemand rufen. Can you help us? Zwei Frauen kommen aus einem Geschäft gelaufen: There's a bird in the shop, please can you chase it out? Wir betreten die kühle Halle, die wie ein kleiner Baumarkt wirkt, ich klettere auf eine wackelige Leiter, das Schwerlastregal hoch. Ich denke: Dass sich so ein Laden hier hält? Als ich an den aufgereihten Pappkartons rüttle, um den kleinen Vogel aufzuscheuchen, stutze ich kurz. Die Kartons sind alle leer.

Einladung auf eine Dachterrasse. Wir fahren mit dem (nur per App bestellbaren, englischsprachigen) Taxi raus aus der Stadt, vorbei an meterhohen Zäunen, an noch viel höheren Pinien (oder Zypressen?), durch deren Äste man Villen sieht, und private Wachdienste, die der Taxifahrer nach dem Weg fragt. Auf der Terrasse: Super Ausblick, Buffet. Wir sind die ersten, was etwas unangenehm ist, da wir den Gastgeber kaum kennen. Er erklärt uns die Gegend: „Es gibt kein Café hier, keinen Supermarkt. Meine Freundin ruft jeden Morgen beim Delivery an und bestellt einen Becher Kaffee. Dafür kommen die extra her. Ja, weil Arbeitskraft kostet ja nichts“. Ich weiß nicht, ob er damit angibt, oder ob er das bedauert. Aber damit ist es jetzt sowieso vorbei. Jetzt haben sie endlich eine eigene Espressomaschine. Sein Telefon klingelt.

Auf der Suche nach dem Zelt von Rasheed Araeen, an dem täglich sechzig Gratismahlzeiten vergeben werden, verwechseln wir ein notdürftig aufgebautes Camp von Obdachlosen mit der Installation. Später, als wir dann aber in der richtigen Schlange einen alten Mann sehen, für den die Mahlzeit sichtlich nicht Experience, sondern einfach Nahrung ist, geben wir schnell unsere Coupons zurück. Und verächtlich schauen wir auf das fleißig Teller fotografierende Kunstpublikum, das diese einfache Aufgabe nicht begriffen hat. Oder waren wir zu feige, gemeinsam mit den Bedürftigen zu essen?

Wir fliegen zurück. Ich komme mit meiner Sitznachbarin ins Gespräch, sie leitet eine Galerie. „So richtig viel Armut habe ich ja nicht gesehen“, höre ich mich sagen. Bin ich froh oder enttäuscht? „Ja, da hätte man vielleicht an etwas andere Orte gehen müssen“, meint sie. „Glaube ich auch“, sage ich.