Gesamtsinnenerlebnis

04-12-2017 / Anna-Lena Wenzel

Über Ed Atkins Ausstellung Old Food im Martin-Gropius-Bau
(29.9.2017 – 7.1.2018) 

Es riecht, es beschallt einen, es geht einen visuell an, es bietet Denkstoff.
Reihenweise Kostüme aus der Deutschen Oper, die in ihrer Originalhängung ins Museum verfrachtet wurden und muffen.
Monitorwände und Flatscreens, zum Teil wandgroß, zum Teil kleiner, an verschiedenen Stellen im Raum aufgehängt, einen beschallend.
Texte, auf Holz gedruckt oder geritzt, es sind Sperrmüllplatten, auf einigen sind Zeichnungen, wie aus Lehrbüchern abgedruckt.

 

Ed Atkins, “Old Food”, 2017, Installation view, Martin-Gropius-Bau, Berlin, © Ed Atkins, Photo: Mark Blower. Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London, Gavin Brown’s Enterprise, New York, Rome and dépendance, Brussels

 

Auf den Bildschirmen gibt es verschiedene Settings und sich wiederholende animierte Protagonisten: ein Baby, das weint, ein alter Mann im Profil, dem ebenfalls die Tränen runterrinnen. Eine mittelalterliche Wiesenlandschaft, ein Holzhaus von innen. Ein leerer Raum mit einem Klavier. Nach kurzer Zeit scheint sich die Szenerie zu wiederholen.

Die Texte sind merkwürdig. Sie wechseln in ihrem Stil von Satz zu Satz, von Platte zu Platte. Mal geht es um Mumifizierung, mal um die Arbeiten von Ed Atkins, dann wird der Status des Wandtextes reflektiert und man wird als Besucher*in direkt adressiert. Mal klingt es wissenschaftlich, mal poetisch, mal wie aus den Notizbüchern des Künstlers. Hier ein paar Auszüge:

„Wandtexte in Museen dienen dazu Allwissenheit vorzutäuschen. Eine Autorität, die es dem Leser überlässt, hinterherzukommen. […] Dieser Wandtext gibt zu, dass er nicht alles weiß. Etwas, der Penis im Werk von Ed Atkins. Das Organ, um das immer drumherum geredet wird, Vorhaut, Hoden, sogar die Harnröhre findet an einer Stelle Erwähnung, und auch der ‚Pimmel‘, aber nie der Schwanz, die Erektion. Achte mal drauf.“

„Das Museum ist auf deinen Körper angewiesen. […] Du wirst in einen Zahlenwert konvertiert, dem Kalzium der Institution die Marketingabteilung wie ein Dünndarm.“

„Altes Essen ist natürlich eine Fehlbezeichnung. Es gibt in der Digitalität nichts, was schlecht wird. Keine Vernachlässigung des Kühlschranks.“

„In Atkins‘ Filmen wimmelt es von solchen konsternierenden emotionalen Befindlichkeiten, Halbgefühlen, betrübter Aufgeregtheit und anderer, schlecht angepasste rüberkommender Empfindungen.“

„Mit einem Körper können die merkwürdigsten Dinge passieren. Der Glibber in dir besteht aus einfachen organischen Verbindungen, die schlicht den Gesetzen der Naturwissenschaft unterliegen.“

Die Screens werden von Sounds unterlegt, die den Raum so penetrieren, dass die Aufsichten Kopfhörer tragen. Man entkommt ihnen nicht.
Plötzlich überlagern sich die Sounds zu Klaviermusik und auch die Bilder auf den großen Screens synchronisieren sich. In den Fokus rücken die Klaviere, auf denen Hände spielen. Die Atmosphäre im Raum verändert sich, aus dem versunkenen Schauen/Hören wird ein etwas aufgeregtes Gucken, weil man nichts verpassen will und wir versuchen einen Standpunkt einzunehmen, von dem aus man mehrere Screens im Blick hat. Statt um kurze Loops handelt es sich also um eine Gesamtkomposition ähnlich wie bei der Filminstallation Manifesto von Julian Rosefeldt – das finde ich stark, weil die Filmarbeiten dadurch noch mal einen anderen Dreh bekommen.

 

Ed Atkins, “Old Food”, 2017, Installation view, Martin-Gropius-Bau, Berlin, © Ed Atkins, Photo: Mark Blower. Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London, Gavin Brown’s Enterprise, New York, Rome and dépendance, Brussels

 

Sowieso ist alles irgendwie ziemlich gut gemacht – und auch noch ziemlich intelligent. Unsere anfängliche Skepsis über die Auswahl eines Einzelkünstlers, der in Form dieser Ausstellung prominenten Raum und (wahrscheinlich viel) Geld zur Verfügung gestellt bekommt, verfliegt. Das Besondere ist: die Ausstellung ist fein und groß zugleich. Sie überzeugt nicht durch schiere Größe oder über das Label „Post-Internet-Art“, sondern mit ihrer reflektierten, alle Sinne anregenden Machart. Was auch überzeugt: der Künstler versteckt sich nicht hinter einer Theoriewolke oder ironischer Unnahbarkeit, sondern zeigt sich (wenn auch flüchtig). Hinzu kommt: Die Ausstellung ist trotz ihrer Imposanz nicht clean; dafür sind die animierten Figuren zu abjekt, zu eklig, dafür riecht es zu muffig, dafür schlägt der Kopf der einen Person zu oft geräuschvoll auf den Boden auf und werden haufenweise Menschen von einem Erdloch verschluckt. Kein Wunder, dass sich Ed Atkins so schnell zum Institutionenliebling gemausert hat.