In der Wohlfühlhölle – über die 9. Berlin Biennale

20-06-2016 / Anna-Lena Wenzel

Stellen Sie sich vor Sie befinden sich in einer schicken Lounge, sitzen in einem weichen Sessel, flauschiger Teppich umgibt sie, eine computergenerierte Stimme mit optimalem Timbre trägt Ihnen diese Kritik in freundlicher Stimmlage vor. Unterlegt ist die Stimme mit einer beruhigenden Hintergrundmusik. Auf einem Bildschirm werden die genannten Arbeiten in schneller Abfolge angeteasert; unterbrochen von Einblendungen von Textnachrichten für das schnelle Erfassen der wichtigsten Textstellen. 

Willkommen auf der Berlin Biennale, verkündet die Stimme, die Biennale, die Ihnen den Komfort verweigert auf der richtigen Seite zu stehen. Denn hier ist nichts eindeutig: das Politische, das Arthur Zmiejewski auf „seiner“ Biennale noch „holzschnittartig“ (Zitat von Alexander Fahrenholz, Bundeskulturstiftung, auf der Pressekonferenz) inszeniert hat, zeigt sich nun viel dis- äh, diffuser. 

Das Kuratorenteam DIS interessiert sich für den Grenzraum, der durch die vielschichtigen Überlagerungen von kommerziellen und subkulturellen Ästhetiken zustande kommt. Sie haben aus diesem Grund die Berlin Biennale genutzt, um vielfältige Grenzräume zu inszenieren, in denen sich diese verschiedene Ästhetiken überlagern und bei den Besucher*innen ein unbehagliches Gefühl provozieren. Noch bevor man die Arbeiten richtig erfasst hat, überkommt einen ein ambivalentes Gefühl beim Anblick der Displays, Oberflächen, Schriftzüge und Bildinszenierungen, weil man zugleich affiziert und abgestoßen ist. Besonders gut gelungen ist dies in der Akademie der Künste, wo die Spiegelflächen des Treppenhauses zum Teil in die Kunstwerke integriert werden und als ein Verstärker der allseitsbeobachtbaren Selfie-Selbstbeschau fungieren.

Akademie der Künste, Foto: Anna-Lena Wenzel

Das große Ding der Biennale ist, dass sie Situationen schafft, die einem aus der Werbung, von Messen und aus Shops bekannt vorkommen. So befinden sich gleich im Eingang der Akademie der Künste mehrere Leuchtkästen mit vermeintlichen Werbemotiven. Ein Stück weiter wartet eine Saftbar, die eigentlich ein Kunstwerk ist, auf ernährungsbewusste, potente Besucher*innen. Rechter Hand befindet sich der Verkaufsstore, in dem man designte T-Shirts und farbige Kontaktlinsen erwerben kann. Im Hintergrund lächeln farbige Models. 

Was die Kunstwerke von den sie darstellenden und reflektierenden Phänomenen unterscheidet, ist mal mehr, mal weniger scharf auszumachen. Nicht überzeugend ist die Wandkonstruktion mit dem bescheidenen Titel Architecture der Gruppe åyr, die an nichts anderes denn an langweilige Inneneinrichtungen denken lässt und es damit weder schafft, die im Text großspurig verkündeten Referenzen (heimische Werte, Berliner Mauer, Preciados Testo Junkies) einzulösen, noch die heimelige Wohnoberfläche zu brechen. 

Auf den Punkt bring die Ambivalenz der Warenwelt dagegen die Installation The Happy Museum von Simon Fujiwara. Auf Sockeln hat er verschiedene Konsumartikel präsentiert: Einen hochgesicherten Kindersitz, einen Lebkuchensarkophag, eine Reihe weißer Spargel neben der aktuellen Kinderriegeledition, die für so viel Aufruhr gesorgt hat. Vollkommen unspektakulär inszeniert, gelingt es ihm dennoch mit dieser Auswahl die absurden Auswüchse des kapitalistischen Systems (und seiner Verknüpfungen mit dem Kunstfeld) auf den Punkt zu bringen. 

Auf dem Bildschirm erscheint ein Flimmern. Erst mit Verzögerung gucken sich die Besucher*innen irritiert um und fragen sich, ob das jetzt dazugehört oder nicht. Dann geht das Getuschel los. Ob man schon wisse, dass die Berlin Biennale von diesem Badausstatter gesponsort werden würde? In der Werbekampagne wimmele es ja nur so von Badezimmermöbeln. Und ob man schon beim Fitnessprogramm war? Ob da wohl auch die Kurator*innen mitmachen würden?

Simon Denny, Blockchain Visionaires (Detail), Foto: Anna-Lena Wenzel

Das andere große Thema dieser Biennale ist die digitale Welt. Was für neue Kommunikationsformen, Wahrnehmungsweisen und Körperpolitiken etablieren sich hier? Was für neue Bedürfnisse bringt sie hervor? 

Mittlerweile hat sich der Monitor wieder beruhigt und zeigt Briefe von Camille Henrot, die sie als Antworten auf die vielfältigen Unterstützungsanfragen, die sie per mail erreichen, formuliert hat. Es sind zum Teil recht dringliche Bitten um Spenden, die die Künstlerin auffordern, „das Leid der Welt zu bekämpfen oder besser für ihr Haustier, ihren Haushalt oder ihren Körper zu sorgen“. 

Die Setting ändert sich: man sieht mehrere Menschen unterschiedlichen Alters in einer Poollandschaft. Einige sind nackt, andere haben Badebekleidung an. Sie fassen sich an und helfen einander. Die Atmosphäre ist wohlwollend und gelöst. Abwechselnd erzählen sie von ihrem Liebesleben, davon was sie mögen, was sie vermissen, wie es ist, älter zu werden oder als beeinträchtig lebender Mensch zu begehren. Das dokufiktionale Video Army of Love ist eine Gemeinschaftsarbeit von Ingo Niermann und Alexa Karolinski – einem „Hybrid aus PR- und Propaganda Video“.

Hybriden begegnet man auf dieser Biennale aller Orten: In der Akademie der Künste verstören die grotesk anmutenden Frau-Koffer-Skulpturen von Anna Uddenberg, auf dem Dach hat John Rafman tierische Zwitterwesen aufgestellt. In der Feuerle Collection sind Xiao Guans Skulpturen zu sehen, „materielle Collagen aus modernen und antiken Formen“. Ein Hinweis darauf, dass alles in Bewegung ist und die Grenzen zwischen den Lebewesen, zwischen Gut & Böse, richtig oder falsch fließend sind? 

Die Biennale versammelt künstlerische Arbeiten, die entweder subtil verstörend agieren – wie diese Hybridformen – oder aber vollkommen übertreiben. Auf diese Strategie der Überspitzung weist das Wort Drag im Titel hin. Exemplarisch hierfür ist die Verkleidung eines Fahrgastschiffes der Reederei Riedel durch Korakrit Arunanondchai und Alex Gvojic mit überbordendem Blumendekor und Plüschinterieur. Aber wie schon bei klassischen Stilleben folgt auf den Überfluss die Vergänglichkeit. Die künstliche Natürlichkeit kippt in schwarze, skelettartige Drahtgeschwüre und schafft eine Mischung aus Gothic Höhle und Dragparadies. Apropos Drag: die Uneindeutigkeit oder das Switchen der Geschlechter ist eines der Themen, die sich ebenfalls durch die Ausstellung ziehen (z.B. in Form der Unisex-Toilette von Shawn Maximo oder der mehrteiligen Installation Duilian von Wu Tsang, die sie Qiu Jin widmet – einer kommunistischen Heldin und lesbischen Ikone aus China).

Man merkt dem Kuratorenteam ein Faible für Kippfiguren an, die zwischen den Geschlechtern, zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, zwischen reell und virtuell oszillieren. Doch in der Wiederholung dieser Thematik und der verwendeten Medien verlieren die einzelnen Arbeiten ihre Kraft. Die Displays wiederholen sich ebenso wie die säuselnden Off-Stimmen und hochwertig produzierten Videoinstallationen, während es nur ein klassisches Ölbild gibt und Fotografie nur als Kopie der Hochglanzwerbeästhetik auftaucht. 

ESMT, Foto: Anna-Lena Wenzel

Abwechslung bieten die starken Räumlichkeiten, die die Kuratoren ausgewählt haben. Es sind Orte, die ebenfalls hybrid – und umstritten – sind: weil sie private Bildungs- oder Kunsteinrichtungen sind (ESMT – European School of Management and Technology und Feuerle Collection), unter chronischer Unterfinanzierung leiden (KW) oder sich an einem Ort befinden, an dem sich Touristenströme, High Society, Hochkultur und Geldströme vermischen (Akademie der Künste). 

Mit der Auswahl dieser Orte ist es dem Kuratorenteam gelungen den Bezug zu Berlin herzustellen, der im Titel angedeutet, der sich in der Auswahl der Künstler*innen aber kaum wiederfindet. Denn der überwiegende Teil der Künstler*innen (mit ein paar Ausnahmen, mit denen man nichts falsch machen kann, weil sie eindeutig für eine kritische medienbasierte Arbeitsweise stehen wie Korpys/ Löffler und Hito Steyerl) stammt aus dem New Yorker Arbeits-Zusammenhangs des Kuratorenteams. Und war damit quasi schon vorher bekannt. Fast sehnt man sich am Ende nach einer In-die-fresse-Arbeit à la Zmiejewski. Stattdessen verkündet ein Schriftzug auf einem Sackgassenschild: Howdy. Welcher Aussage soll man nun glauben? Dem Sackgassenschild oder dem freundlichen Ton der Anrede? Schwups, befindet man sich wieder auf dem Glatteis der sich widersprechenden Aussagen. 

 

*Nicht in diese Kritik geschafft haben es übrigens die Schallplattenedition Anthem und die Tatsache, dass Kreativdirektor*innen mittlerweile auf der Künstlerliste geführt werden.

 

1) The Present in Drag, Ausst.-Katalog Berlin Biennale, Berlin 2016, S. 296

2) Ebd. S. 300 

3) Ebd. S. 292